Museum, Bibliothek, Kino?
Wohlfühlorte zum Deutschlernen!
Durch emotionale Erlebnisse lernt man am besten. Schöne, spannende Orte, an denen es etwas zum Zeigen, Anfassen, Fragen und Diskutieren gibt. Wo man Lust auf’s Verstehen und Sprechen bekommt. Im Rahmen eines „Sommer-Spezial“ besuchen wir mit dem A1 Kurs Altena drei Wiesbadener Kultureinrichtungen, allesamt Lieblingsorte. Als in Wiesbaden Geborene kenne ich die auswendig, denke ich, und werde doch überall von Neuem überrascht:
Goethe oder Hitler – das ist hier die Frage
Zum ersten Termin habe ich Verstärkung aus dem Freundeskreis angefordert und wir stehen mit Magdalena zusammen vor dem Museum. Wir wissen noch nicht, dass Goethe Goethe ist und fragen daher erstmal, wer der Herr mit dem Adler unterm Arm sein könnte. Die Ideen reichen von „Direktor des Museums“ bis hin zu Hitler. Die Idee von Hitler löst einiges bei uns Deutschen aus, wir können zum Glück alles aufklären. In der folgenden Unterrichtsstunde bekommen alle einen Goethe-Radiergummi als Andenken. Ab jetzt ist er festes Inventar im Mäppchen und tritt immer in Aktion, wenn etwas zu optimieren ist. „Goethe hilft“, sagen wir dann und lachen. Unser toter deutscher Dichter verbreitet gute Laune im Kurs.
Nachdem wir den Denker hinter uns gelassen haben, machen wir im Foyer erstmal ein Fotoshooting an Rebecca Horns kinetischer Spiegelinstallation. Sie wird extra für uns in Bewegung gesetzt. Außer uns gibt es praktischerweise keine weiteren Besucher an diesem Dienstagnachmittag. Nachdem ich meine Teilnehmerinnen, auf Bitte des Museums, quasi geboostert habe mit dem Hinweis, um Himmels Willen nichts zu berühren und am besten auch immer einen guten Meter Sicherheitsabstand zu halten, folgen dem alle brav, bis auf meine Freundin, die im Begriff ist, ein Ausstellungsobjekt zu berühren. Sie entscheidet sich in letzter Sekunde aber doch anders und zeigt nur darauf. Es ist ein schweißtreibender Moment, schließlich soll die Gruppe nicht denken, dass die Deutschen es mit den Regeln manchmal nicht so genau nehmen.
Wir gehen zu Jawlensky und stehen vor seinem größten Gemälde „Helene im spanischen Kostüm“ Die Frauen beschreiben Farben und Kleidung. Dass die Abgebildete eigentlich aus Russland stammt, außerdem die frühere Haushälterin von Alexej und seiner Frau war, die er in der Folge mit ihr betrog und schwängerte, ist nicht ganz leicht auf A1-Niveau zu vermitteln. Unsere Frauen haben aber einige Lebenserfahrung und verstehen die Situation der Portraitierten gut. Jawlenskys Stillleben sind etwas unverfänglicher, dafür aber inhaltlich auch langweiliger. Wir ziehen weiter in die Abteilung mit den ausgestopften Tieren. Anis findet die Feldmaus toll und möchte ein Selfie mit mir vor ihr. Die Frauen haben außerdem ein Quiz zu lösen und sollen herausfinden, was sich auf dem Dach des Museums abspielt. Das ist auch für uns Wiesbadenerinnen neu: ein Bienenvolk produziert dort Honig!
Alles in Allem ein sehr gelungener, über 2-stündiger Unterricht der anderen Art. Das Museum empfing uns mit offenen Armen zu freiem Eintritt und beantwortete alle Fragen (z. B. weshalb da ein bunter umgestürzter Baum im Raum liegt) geduldig und sehr freundlich. Wir tragen uns ins Gästebuch ein und kommen wieder!
Im ehemaligen Shoppingcenter
Der nächste Termin findet in der Bibliothek statt. Wir dürfen an einem Montag kommen. Außer uns erhält an dem Tag niemand Eintritt, offiziell hat die Bibliothek geschlossen. Wir erfahren, was man alles machen kann an diesem Ort: ausruhen, lesen, lernen, Musik hören … und werden vom Leiter der Mediathek, Dr. Runschke, durchs Haus geführt, in dem früher ein Shoppingcenter war. Dass es auch Bücher in Farsi, Türkisch usw. gibt, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, hinterlässt Eindruck. Auch eine Abteilung für’s Deutschlernen wird uns nicht vorenthalten. Ebenso wenig die Bücher von Goethe. Den kennen wir ja bereits. Gerade wird ein Name für das neue Fahrradmobil der Bibliothek gesucht und die Frauen haben spontan einige Namensvorschläge. Auch hier machen wir wieder ein Quiz und fassen in der nächsten Stunde die Erfahrungen zusammen.
Kurzfilme und eine Backstage-Führung mit Ralf
Unser vorerst letzter Termin, zusammen mit Lena, führt uns ins Caligari- Kino, das zwar noch nie eine Anfrage wie unsere erhielt, den Frauen aber großzügig kostenlose Tickets überreicht. Bevor es losgeht, schauen wir uns noch ein bisschen um und, als wäre der freie Eintritt nicht genug, gibt uns Ralf bereitwillig eine kleine Führung und kümmert sich liebevoll um uns. So komme ich nach über 30 Jahren Caligari im wahren Sinne das erste Mal dahinter, was es mit der Tür gegenüber der Kasse auf sich hat. Eine steile Treppe führt in sehr schöne, nie gesehene Räume mit historischen Fotos zu den verschiedenen Umbauten des Zuschauerraumes an den Wänden. Schließlich schauen wir uns 9 Kurzfilme an, viele davon ohne Dialog, alle in ganz unterschiedlichen Techniken. Da die Hausaufgabe ist, sich einen Film herauszusuchen und diesen zu beschreiben, dokumentiert Shendzhan vorsichtshalber alle Filme und schreibt die ganze Zeit über mit. Lena und ich sind gerührt von diesem Enthusiasmus und hoffen, dass der Spaß trotzdem nicht zu kurz kommt. Ein toller Filmabend, der in uns noch lange nachhallt.
Wichteln als Jahresabschluss
Auch wenn wir sonst getrennt unterrichten: dieser Termin findet gemeinsam und sogar mit Kindern statt: wir wichteln! Unser Hygienekonzept sieht vor, dass jede von uns ihren eigenen Würfel bekommt und wir das ganze mit FFP2 Masken durchziehen. Alle haben ein verpacktes Geschenk mitgebracht. Bassi muss leider mit verstauchtem Fuß zu Hause bleiben und ist im neuen Jahr wieder dabei. Wir schreiben ihr gemeinsam eine Genesungskarte. Hamideh hat ihre beiden Kinder mitgebracht, da ihr Mann arbeiten muss. Wir sind flexibel und die beiden spielen am Kindertisch miteinander. Wir spielen derweil am Erwachsenentisch, zwischendurch dürfen die Kinder mit würfeln. Eine Tasse wird schnell zum Lieblingswichtel, der stetig seine Besitzerin wechselt. Wir haben viel Spaß und jede nimmt zum Spielende ein Wichtelgeschenk mit nach Hause. Im Januar wollen wir nochmal draußen mit einer heißen Zitrone o.ä. anstoßen, so der Plan. Fazit: wir sind dankbar, trotz Pandemie gemeinsam Deutsch gelernt bzw. unterrichtet zu haben, und konnten auch außerhalb des Kursraumes einiges zusammen erleben.
Zum Kurs Altena:
Seit April diesen Jahres lernen wir in der kleinen Frauengruppe zusammen Deutsch. Bassi, Zfart, Hamideh, Shendzahn, Grit und seit Oktober auch Lena – Letztere sind zwar Muttersprachlerinnen, lernen durch’s Unterrichten aber stetig dazu :-). Altersmäßig sind wir stark durchmischt, verstehen uns oft auch ohne Worte prima und lachen viel. Vor allem wenn es mal wieder Missverständnisse gibt. Anfangs waren noch Alexandra und Anis dabei. Anis ist inzwischen im Integrationskurs an der VHS und bekommt dort täglich Input. Seit Herbst haben wir Verstärkung bekommen: durch Lena, die nun zusätzlich zum Donnerstag dienstags unterrichtet. So haben die Frauen zweimal die Woche Deutschkurs.
Warum heißt der Kurs Altena Altena? Altena ist ein Ort im Sauerland, wo meine Mutter 1945 aus Breslau ankam und ähnlich wie unsere Geflüchteten und Migrantinnen, die Heimat schmerzvoll zurücklassen und sich völlig neu orientieren musste. Auch wenn sie die Sprache bereits konnte, steht dieser Ort für mich für einen hoffnungsfrohen Neubeginn.
Text: Grit Schade